Mittwoch, 25. Mai 2011

Zum Schluss: Botschaft für Gerechten Frieden erreicht


Mit einer beeindruckenden Feier und heftigen Diskussionen ging die Friedenskonvokation zu Ende. Wie am Vortag hebelten die Teilnehmenden die Regie der Verantwortlichen aus, als es darum ging, die Botschaft, die von der Konvokation in die Gemeinden und Kirchen mitgenommen werden sollte, zu beschließen.
Das Komitee, das den Entwurf der Botschaft erarbeitet hatte, hatte ausgezeichnete Arbeit gemacht. Das Bemühen, die vielen Anregungen aus Workshops, Bibelarbeiten und Diskussionsrunden aufzunehmen, war deutlich zu erkennen. Als nach dem Verlesen des Entwurfs in Kleingruppen vorgegebene Fragen diskutiert werden sollten, setzen sich die Teilnehmenden über die Anweisungen hinweg und debattierten ihre eigene Fragen. Die Rückmeldung aus den Kleingruppen fand dann nicht statt. Über 100 Teilnehmende drängten sich an den beiden Saalmikrofonen und ein sichtlich überforderter Moderator bemühte sich redlich, die Lage einigermaßen unter Kontrolle zu behalten.
Die Rückmeldungen machten in der Botschaft mühsam vereinbarte Differenzen deutlich, etwa, als ein norwegischer Delegierter sich mit Verweis auf die deutsche Besetzung Norwegens vehement gegen die Formulierung wehrte, dass die Versammelten sich einige seien, dass Krieg kein Problem löse. Unvermittelt standen so am Ende der Konvokation konträre Positionen im Raum. Deutlich wurde auch, dass Delegierte sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, was die Botschaft bewirken sollte. Viele Delegierte aus dem globalen Süden waren mit den Formulierungen des Entwurfs sehr einverstanden, weil, so mein Sitznachbar aus Nigeria, sie es ihnen ermöglicht, in ihren Gemeinden und Kirchen zu beraten, was die Forderungen der Botschaft in ihrem eigenen Kontext bedeutet. So habe die Verpflichtung auf eine „economy of life“ für die Menschen in Nigeria andere Konsequenzen als für Menschen in Deutschland. Viele Delegierte aus dem globalen Norden wollten die Botschaft viel präskriptiver haben. Es müsse in der Botschaft gesagt werden, dass eine „economy of life“ den Verzicht auch Nuklearkraftwerke und Modelle wie car-sharing enthalten müsse.
Trotz dieses unbefriedigenden Verfahrens waren die Delegierten am Ende des Tages begeistert, dass eine Botschaft entstanden war, die sich gut mitnehmen lässt. „Hiermit kann ich in meiner Gemeinde arbeiten. Es gibt viele Ansatzpunkte, an denen wir in unserem Kontext weiterarbeiten können“, freute sich eine deutsche Delegierte.
So fliegen wir nun alle nach Hause. Nicht nur mit einem in vieler Hinsicht beeindruckenden Erlebnis im Gepäck, vielen interessanten Diskussionen – vor allem am Abend in der lauen Nachtluft – sondern auch mit einer Botschaft, die Fingerzeige für weitere Schritte hin zu einem Gerechten Frieden gibt.
Wolfgang Heinrich

Die Abschlusserklärung “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden”

Die Konferenz hat ein Ergebnis vorzuweisen: Die Botschaft “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden”, die mit großem Beifall in der 2. Lesung angenommen wurde. Sie bedeutet den Abschluss einer ganzen Dekade, den Schlussakkord zu zehn Jahren weltweitem Einsatz von Kirchen für eine friedvollere Welt. Fernando Enns sagte, dass die Kirchen in zehn Jahren gelernt hätten, die inneren Zusammenhänge von Armut, Ausbeutung, Rassismus und Militarismus besser zu verstehen. Der Delegierte aus Deutschland hatte 1998 bei der 8. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in der simbabwischen Hauptstadt Harare als Jugenddelegierter den Vorschlag zu einer "Dekade zur Überwindung von Gewalt" eingebracht und zur Verblüffung vieler auch durchgebracht.
Die Botschaft “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden” stellt diese Bezüge her. Sie zeigt auch, dass die Kirchen auf dem Weg sind und diesen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gehen, dass das aber dem ökumenischen Miteinander nicht abträglich ist: “Einige (Kirchen) heben die Notwendigkeit hervor, sich zuerst auf die gegenseitige Unterstützung und Fortschritte innerhalb des Leibes Christi zu konzentrieren. Andere ermutigen die Zusammenarbeit mit breiteren sozialen Bewegungen und das öffentliche Zeugnis der Kirchen. Jede Herangehensweise hat ihre Berechtigung, sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Tatsächlich gehören sie untrennbar zusammen.”
In Konferenztexten geht leicht unter, was besonders umkämpft war oder in der Situation bedeutsam ist. Einige Punkte stechen aus der Botschaft hervor:
  • die Aufforderung an die Kirchen, für Themen, die die Sexualität betreffen, “geschützte (Gesprächs-) Räume bereit zu stellen” – das ist etwas anderes, als von der Kanzel richtig und falsch zu verkünden,
  • das starke Plädoyer für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung – in den meisten Ländern der Welt heutzutage nicht denkbar und durchaus kein Herzensanliegen für alle Kirchen,
  • die immer wiederkehrende Betonung des Willens zur Zusammenarbeit mit anderen Religionen und des Zusammenwirkens mit der Zivilgesellschaft – das setzt Hören und Hintanstellen eigener Ansprüche voraus,
  • die Absage an Atomkraft zur Energiegewinnung – es ist also durchaus kein deutscher Sonderweg, sondern ein breiterer internationaler Konsens in diese Frage vorhanden,
  • die dringende Aufforderung an die Regierungen, unmittelbar Rüstungsausgaben zugunsten von sozialen und ökologischen Programmen zu kürzen – das gälte dann auch als Auftrag für die Delegierten aus den USA und Russland (und selbstverständlich auch für die Deutschen),
  • die Bestätigung des Konzepts eines gerechten Friedens anstelle der Theorien zu einem “gerechten Krieg” – die sorgfältige theologische Arbeit, die in Deutschland dazu geleistet worden ist, hat hier hilfreich gewirkt,
  • das Zugeben, dass die ökumenische Familie sich mit der “obligation to protect” schwer tut; sie sieht sie einerseits als Aufforderung zu viel intensiverer Gewaltprävention und der Anbahnung eines Auftrags für internationale Polizeieinsätze unter dem Schirm der UN, kann aber die Versuchung des Missbrauchs eines solchen Mandats für andere Zwecke nicht ausschließen. Die Versammlung bittet infolgedessen den ÖRK angesichts der weltpolitischen Lage, “dringend, seine Position dazu zu klären”.
Jürgen Reichel

Die Teilnehmenden der Konsultation ergreifen das Wort

“Der ÖRK lernt nicht dazu” war bis zum letzten Tag immer wieder zu hören. “Genf wünscht keine echte Beteiligung.” Es ärgerte viele Teilnehmende, dass die Tage zwar mit Programm – und zwar vielen wunderbaren Andachten und Gottesdiensten, aufregend guten Bibelarbeiten und Workshops – voll gepackt waren, dass die thematischen Veranstaltungen aber beziehungslos nebeneinander standen. Die sorgfältig vorbereiteten Texte, der “Aufruf zum Gerechten Frieden” oder die ausführlichen Erläuterungen, spielten bei der Konsultation gar keine Rolle mehr.
Bei den Plenarveranstaltungen gab es so gut wie keine Möglichkeiten, sich einzubringen. Niemand verstand, wie die den Themen zugeordneten Seminare zu einer Meinungsbildung der Konsultation beitragen sollten – sie blieben für sich stehen. Angeblich gab es vorher bestimmte Rapporteure in den Workshops, die gaben sich aber nicht zu erkennen. Moderationen der Großveranstaltungen waren mitunter lust- und kunstlos, zumindest aber nicht besonders bemüht, Gedankenfortschritte herauszuarbeiten. Die Plena waren mit vielen bekannten Gesichtern aus dem inneren Zirkel der ökumenischen Familie besetzt und brachten zu wenig frischen Wind, den Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft hereingebracht hätten. Vor allem die großen Plenarveranstaltungen blieben deshalb leblos. Muss das beim ÖRK so sein?
Am letzten Tag brachen die Dämme: Die Botschaft “Ehre sei Gott und Friede auf Erden” wurde eingebracht – in der rührenden Hoffnung, sie nach 15 Minuten Gesprächen in Kleingruppen und 20 Minuten Voten im Plenum abschließen zu können. Die eine kurze Chance zur Beteiligung ergriffen an die 100 Teilnehmer: Unabsehbar lange Schlangen bildeten sich vor den beiden Mikrophonen, um Voten zur Botschaft abzugeben, ein sichtlich genervter Moderator wurde der Situation nicht gerecht und musste sich anhören, dass nun endlich die Zeit gekommen sei, dass das Plenum einmal zuhöre.
Wie kann ein ÖRK, der die Fahnen der Partizipation und Demokratie so hoch hält, seine eigenen Veranstaltungen nur so hermetisch anlegen?
Jürgen Reichel

Dienstag, 24. Mai 2011

Das Dilemma mit der Sicherheit


Die Bibel kennt das Wort Sicherheit nicht, so Prof. Lisa Schirch-Elias von der Eastern Mennonite University. Es habe seinen tieferen Sinn, dass in der Bibel von Frieden und Gerechtigkeit die Rede sei. Unser Sicherheitsdenken beruht auf der “Phantasie die größeren Feuerkraft”, so Schirch-Elias in ihrem Eingansstatement in der Diskussion zum Tagesthema “Frieden zwischen den Völkern”. Die Bibel aber fordere auf, Beziehungen zu transformieren, aus Distanz Nähe, aus Fremden Bekannte und aus Feinden Freunde zu machen. “So etwas tut man nicht mit überlegener Feuerkraft”. Nur auf dem Weg, den die Bibel aufzeige, könne “safety” für alle Menschen geschaffen werden. Hier ist das Englische dem Deutschen überlegen: wo wir das Wort Sicherheit verwenden, kennt das Englische die Begriffe “security” und “safety”, was eine feine, aber fundamental wichtige Differenzierung ermöglicht.
Dem stimmte Erzbischof Avak Asadourian, Generalsekretär des "Council of Chrisitan Church Leaders" im Irak zu. Im Blick auf die Diskussionen über die “Responsibility to Protect”  habe die Politik noch immer nicht alle kreativen Möglichkeiten ausgelotet, wie man ohne Gewalt Menschen schützen könne. “Wir gehen sehr schnell den militärischen Weg, wenn es um Schutz geht”, so Asadourian. “Wir können aber nicht mit Gewalt schützen, sondern nur, indem wir uns auf die Menschen, auf das Andere einlassen und uns mit ihm auseinander setzen”. In diesem Zusammenhang verwahrte er sich scharf gegen die in Europa und Nordamerika oft verwendete Formulierung, die Christen seien “eine Minderheit im Irak”. “Wir sind Iraker, wie alle anderen auch. Wir sind ein integraler Teil der irakischen  Geschichte, der irakischen Kultur und des irakischen Volkes. Wir setzen uns für Frieden im Irak für alle Iraker ein!” betonte Asadourian. Dies werde auch von vielen Muslimen im Irak so gesehen, die die Christen auffordern, das Land nicht zu verlassen, “weil wir sonst einen Teil unserer Seele verlieren”.
Gerade die Geschichte im Irak zeige, so Schirch-Elias, dass die Kirchen in den USA das Konzept der “Sicherheit” für sich noch nicht durchgearbeitet haben. Viele Kirchenleitungen haben sich in den USA gegen die Intervention im Irak ausgesprochen. “In der Gemeinde aber war die Einstellung eine völlig andere”. Es reiche eben nicht, wenn Kirchenleitungen wohl klingende Dokumente formulieren und in gesetzten Worten sich zu politischen Entscheidungen äußern. Sie müssten auch ihre eigenen Gemeinden überzeugen und mitnehmen. Diese Hausaufgabe habe kaum eine Kirche zum Thema “Sicherheit” gemacht.
Dr. Patricia Lewis vom Monterey Institute of International Studies, stellte die rhetorische Frage: “Was hat das Sicherheitsparadigma mit unserer Psyche, mit unseren Seelen gemacht?” Im 20. Jahrhundert seien 160 Millionen Tote in Folge direkter physischer Gewalt zu beklagen. Und noch immer drehe sich die Rüstungsspirale weiter. 2010 seien die internationalen Rüstungsausgaben so hoch gewesen, wie noch nie seit dem zweiten Weltkrieg. “Für unsere Sicherheit sind wir bereit, Massenmord zu begehen!” Sie forderte die Kirchen auf, nachhaltig von ihren Regierungen die Abrüstung der militärischen Potentiale einzufordern, wobei sie sich nicht auf die Nuklearwaffenarsenale beschränken dürften. Gerade die nahezu unbeschränkte Verfügbarkeit von Kleinwaffen habe diese inzwischen zur größten Gefahr für die Menschen werden lassen.
Hier kritisierte Dr. Christine Agbotom-Johnson, stellvertretende Direktorin des "UN Institute for Disarmamant Research", dass man sich nicht nur auf die technischen Aspekte der Abrüstung , die Instrumente der Gewalt, konzentrieren dürfe. “Das eigentliche Problem ist nicht die Waffe. Das eigentliche Problem ist der Mensch, der sie benutzt”, so Agbotom-Johnson. Die Kirchen hätten eine besondere Aufgabe darin, eben diese Ebene der Abrüstung zu bearbeiten. Erziehung zur Friedensfähigkeit müsse im Kindesalter beginnen, was viele Kirchen auch machen. Sie müsse aber ständig neu begründet und verstärkt warden. “Friedfertigkeit ist kein Zustand, den man erreicht, sondern eine Haltung, um die man ständig ringen muss.”
Auf die Zwischenfrage des Moderators Kjell Magne Bondevik, Leiter des "Olso Center for Peace and Human Rights", ob die Welt “a safer space” - ein sicherer Raum - werde, wenn mehr Frauen in Entscheidungspositionen wären, entgegnete Schirch-Elias, dass nur mit der Tatsache, dass eine Frau eine bestimmte Position inne habe, nichts gewonnen sei. Das habe man mit vielen Frauen in hohen politischen Ämtern erleben müssen. Entscheidend sei, in welche sozialen Beziehungen Frauen in Leitungspositionen eingebunden seien.
In die Podiumsdiskussion wurde eine Videobotschaft von Setsuko Thurlow eingespielt, die nicht hatte nach Jamaika kommen können. Setsuko Thurlow hatte als Jugendliche den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima erlebt. Sie schilderte ihr Erleben in so nüchternen Worten, dass einem der Atem stockte. Wie die, die nach dem Abwurf noch laufen konnten, versuchten, den grauenvoll Verstümmelten zu helfen, obwohl es nichts mehr gab, womit man helfen konnte. “Niemand, kein Kind soll noch einmal erleben, was ich erleben musste” apellierte sie an die Delegierten. Setzt Euch fuer die Ächtung von Atomwaffen, von Massenvernichtungswaffen aller Art, für die Beendigung aller Kriege ein”.
Wolfgang Heinrich

Die IöFK lernt Beteiligung

Die heutige Plenumsveranstaltung im großen Zelt werden sich viele Delegierte rot im Kalender anstreichen. Erstmals bekam die Versammlungsleitung einen Anfall von Partizipation. Nach der Podiumsdiskussion wurde in Kleingruppen diskutiert. Als Bondevik die Gruppen aufforderte, aus ihrer Diskussion Fragen oder Anregungen an das Podium zu geben, bildeten sich in Windeseile lange Schlangen vor den beiden Saalmikrofonen. Sichtlich verunsichert, wie mit dieser Situation umzugehen sei, entschied sich Bondevik, die Sitzung zu überziehen und alle zu Wort kommen zu lassen. Beim Hinausgehen fragten viele Delegierte, warum dies nicht bereits in den letzten Tagen so gehandhabt worden war. Viel Frust, der in Pausengesprächen immer wieder zum Ausdruck kam, hätte man so vermeiden können. Nun kann man gespannt sein auf den Abschlusstag.
Wolfgang Heinrich

Montag, 23. Mai 2011

Es ist Zeit, aus der Komfortecke herauszukommen


„Die Kirchen lieben ihre comfort zone“. Kann „Frieden“ der richtige Begriff für das sein, was die Kirchen im Markt und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen einfordern müssten? Mit dieser Frage rüttelte Roderick Hewitt, Pastor der United Church of Jamaika, eine Podiumsdiskussion auf, die zuvor in den ausgetretenen Pfaden der radikalen Globalisierungskritik vor sich hin gedümpelt hatte.

Den Auftakt zu der Plenumsveranstaltung zu dem Tagesthema „Peace in the Marketplace“ hatte Valentine Mokiwa aus Tansania gemacht, der Präsident der Allafrikanischen Kirchenkonferenz. Er schilderte das Investitionsverhalten internationaler Unternehmen vor allem im extraktiven Bereich in Afrika. Es folgte, was so oft folgt. Der Markt als der große Dämon, den es zu bekämpfen gelte, die Kirchen, die auf Grund ihres Auftrages und ihres Selbstverständnisses eine besondere Verantwortung haben, diesen Dämon zu bekämpfen. Was dies genau heißt und wie die Alternative zum real existierenden Wirtschaftsgeschehen sein könnte, blieb allerdings im Ungewissen.

Eine erste Irritation in die altbekannte Debatte hatte Prof. Emmanuel Clapsis, orthodoxer Theologe und Mitglied der  Referenzgruppe der Dekade zur Überwindung der Gewalt, geworfen als er feststellte, die Kirchen allein könnten in diesem Problemfeld nichts bewegen, sie müssten sich in Bündnisse mit Netzwerken und zivilgesellschaftlichen Akteuren begeben und mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zusammen arbeiten. Roderick Hewitt griff dieses Argument auf und stellte fest, dass die Kirchen nicht getrennt „neben dem Markt“ stehen würden. Vielmehr seien sie Teil des selben und oft Profiteure ausbeuterischer Marktmechanismen. Es stimme, dass sich Kirchen an vielen Orten den Opfern des „Marktes mit dem großem M“ (durch diese Formulierung unterschied er den Weltmarkt von den Nationalen Märkten, den „Märkten mit dem kleinen m“) zuwenden. Es stimmt aber auch, dass sie ebenso von den Mechanismen des Weltmarktes profitieren. „Wir haben Schuld auf uns geladen! Welche Glaubwürdigkeit hat unsere Kritik an der Art des Wirtschaftens, wenn wir selber davon profitieren?“ Er forderte, die Kirchen müssten zunächst ihre eigene Schuld wahrnehmen, prüfen, wie sie durch ihr Verhalten im „Markt mit dem kleinen m“ die Mechanismen des „Marktes mit dem großen M“ nutzen. Sie müssten zunächst glaubwürdig alternative Formen des Wirtschaftens in den Kirchen selbst einführen, bevor sie andere kritisieren könnten.

So erhielt die altbekannte Globalisierungskritik am Schluss doch noch eine vorwärts weisende Wendung. Omega Bula von der United Church of Christ in Kanada griff den Faden auf und schilderte, welche Kontroversen und Schmerzen es in ihrer Kirche gegeben hab, als sie ihr eigenes Anlageverhalten überprüfte und durchgesetzt wurde, dass die Kirche ihre Anlagen etwa für Pensionsfonds nach theologisch begründeten ethischen Prinzipien ausrichtet. Valentine Mokiwa stimmte zu und stellte fest, dass viele Kirchen „die Wunden der Opfer verbinden“, aber zu dem Unrecht selbst viel zu lange geschwiegen und ihre eigene Verstrickung nicht wahrgenommen hätten. Viele Kirchen müssten „erst noch lernen, ihre Verstrickung wahrzunehmen“, meinte er.

Hierzu merkte Roderick Hewitt an, dass die Kirchen ihre „comfort zone“ lieben. „Wir neigen dazu, mit unserer Sprache die eigentlichen Probleme und Konflikte zu verschleiern. Kann „Friede“ im Zusammenhang mit dem Markt der richtige begriff sein?“, fragte er. „Die Finanzkrise hat den Kirchen die goldene Gelegenheit gegeben, ihr eigenes Handeln und ihre Haltung zu überdenken. Es ist Zeit, aus der Komfortecke herauszukommen und sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Die Kirchen müssen ihre Identität, ihren Auftrag und ihre Visionen angesichts der Ungerechtigkeiten im internationalen Wirtschaftsgeschehen neu bestimmen. Dafür müssen wir unsere Verstrickung radikal analysieren und bekennen, wo wir schuldig geworden sind. Erst dann sind wir glaubwürdig.“ 

Wolfgang Heinrich

Sonntag, 22. Mai 2011

Eine weltweite geistige Kraft

Das Herz der Konferenz sind Gottesdienste, Andachten, die partizipativen Bibelarbeiten und der Austausch der Teilnehmenden bei allen sich bietenden Gelegenheiten. Wir erfahren un-mittelbar, dass sich Tag für Tag Menschen in allen Ländern der Welt an denselben biblischen Texten orientieren und sie für ihr Leben sprechend machen.

Was heißt es, dass der Wolf neben dem Lamm wohnen wird (Jesaja 11) und dass Jesus im Gleichnis den zuletzt hinzugekommenen Arbeitern denselben Lohn vom Weinbergsbesitzer zuteilen lässt wie denen, die schon den ganzen Tag gearbeitet haben (Matthäus 20)?

Über die Kirchen wirken biblische Vorstellungen von Gerechtigkeit und Frieden in die Gesellschaften ein und in den kleinen Gesprächszirkeln zeigt sich, dass sie nicht so unterschiedlich sind, wie unterschiedliche konfessionelle oder kulturelle Prägungen vermuten lassen würden. Die Videobotschaft des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel zum Konferenzgottesdienst am Friedenssonntag, die zu Gerechtigkeit und Frieden aufruft, kann von baptistischen Kolumbianern genauso angenommen werden wie von lutherischen Indonesierinnen. Zu den großen Programmen und ethischen Entwürfen scheinen die im ÖRK verbundenen Kirchen im Moment nicht in der Lage zu sein, aber sie erzielen Einigkeit darüber, dass Christen sich für Frieden und Gerechtigkeit an ihrem Ort einsetzen und hören voneinander, wie das in Brasilien, im Kongo oder in Neuseeland geschieht.

Jürgen Reichel