Mittwoch, 25. Mai 2011

Zum Schluss: Botschaft für Gerechten Frieden erreicht


Mit einer beeindruckenden Feier und heftigen Diskussionen ging die Friedenskonvokation zu Ende. Wie am Vortag hebelten die Teilnehmenden die Regie der Verantwortlichen aus, als es darum ging, die Botschaft, die von der Konvokation in die Gemeinden und Kirchen mitgenommen werden sollte, zu beschließen.
Das Komitee, das den Entwurf der Botschaft erarbeitet hatte, hatte ausgezeichnete Arbeit gemacht. Das Bemühen, die vielen Anregungen aus Workshops, Bibelarbeiten und Diskussionsrunden aufzunehmen, war deutlich zu erkennen. Als nach dem Verlesen des Entwurfs in Kleingruppen vorgegebene Fragen diskutiert werden sollten, setzen sich die Teilnehmenden über die Anweisungen hinweg und debattierten ihre eigene Fragen. Die Rückmeldung aus den Kleingruppen fand dann nicht statt. Über 100 Teilnehmende drängten sich an den beiden Saalmikrofonen und ein sichtlich überforderter Moderator bemühte sich redlich, die Lage einigermaßen unter Kontrolle zu behalten.
Die Rückmeldungen machten in der Botschaft mühsam vereinbarte Differenzen deutlich, etwa, als ein norwegischer Delegierter sich mit Verweis auf die deutsche Besetzung Norwegens vehement gegen die Formulierung wehrte, dass die Versammelten sich einige seien, dass Krieg kein Problem löse. Unvermittelt standen so am Ende der Konvokation konträre Positionen im Raum. Deutlich wurde auch, dass Delegierte sehr unterschiedliche Vorstellungen davon hatten, was die Botschaft bewirken sollte. Viele Delegierte aus dem globalen Süden waren mit den Formulierungen des Entwurfs sehr einverstanden, weil, so mein Sitznachbar aus Nigeria, sie es ihnen ermöglicht, in ihren Gemeinden und Kirchen zu beraten, was die Forderungen der Botschaft in ihrem eigenen Kontext bedeutet. So habe die Verpflichtung auf eine „economy of life“ für die Menschen in Nigeria andere Konsequenzen als für Menschen in Deutschland. Viele Delegierte aus dem globalen Norden wollten die Botschaft viel präskriptiver haben. Es müsse in der Botschaft gesagt werden, dass eine „economy of life“ den Verzicht auch Nuklearkraftwerke und Modelle wie car-sharing enthalten müsse.
Trotz dieses unbefriedigenden Verfahrens waren die Delegierten am Ende des Tages begeistert, dass eine Botschaft entstanden war, die sich gut mitnehmen lässt. „Hiermit kann ich in meiner Gemeinde arbeiten. Es gibt viele Ansatzpunkte, an denen wir in unserem Kontext weiterarbeiten können“, freute sich eine deutsche Delegierte.
So fliegen wir nun alle nach Hause. Nicht nur mit einem in vieler Hinsicht beeindruckenden Erlebnis im Gepäck, vielen interessanten Diskussionen – vor allem am Abend in der lauen Nachtluft – sondern auch mit einer Botschaft, die Fingerzeige für weitere Schritte hin zu einem Gerechten Frieden gibt.
Wolfgang Heinrich

Die Abschlusserklärung “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden”

Die Konferenz hat ein Ergebnis vorzuweisen: Die Botschaft “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden”, die mit großem Beifall in der 2. Lesung angenommen wurde. Sie bedeutet den Abschluss einer ganzen Dekade, den Schlussakkord zu zehn Jahren weltweitem Einsatz von Kirchen für eine friedvollere Welt. Fernando Enns sagte, dass die Kirchen in zehn Jahren gelernt hätten, die inneren Zusammenhänge von Armut, Ausbeutung, Rassismus und Militarismus besser zu verstehen. Der Delegierte aus Deutschland hatte 1998 bei der 8. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in der simbabwischen Hauptstadt Harare als Jugenddelegierter den Vorschlag zu einer "Dekade zur Überwindung von Gewalt" eingebracht und zur Verblüffung vieler auch durchgebracht.
Die Botschaft “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden” stellt diese Bezüge her. Sie zeigt auch, dass die Kirchen auf dem Weg sind und diesen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gehen, dass das aber dem ökumenischen Miteinander nicht abträglich ist: “Einige (Kirchen) heben die Notwendigkeit hervor, sich zuerst auf die gegenseitige Unterstützung und Fortschritte innerhalb des Leibes Christi zu konzentrieren. Andere ermutigen die Zusammenarbeit mit breiteren sozialen Bewegungen und das öffentliche Zeugnis der Kirchen. Jede Herangehensweise hat ihre Berechtigung, sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Tatsächlich gehören sie untrennbar zusammen.”
In Konferenztexten geht leicht unter, was besonders umkämpft war oder in der Situation bedeutsam ist. Einige Punkte stechen aus der Botschaft hervor:
  • die Aufforderung an die Kirchen, für Themen, die die Sexualität betreffen, “geschützte (Gesprächs-) Räume bereit zu stellen” – das ist etwas anderes, als von der Kanzel richtig und falsch zu verkünden,
  • das starke Plädoyer für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung – in den meisten Ländern der Welt heutzutage nicht denkbar und durchaus kein Herzensanliegen für alle Kirchen,
  • die immer wiederkehrende Betonung des Willens zur Zusammenarbeit mit anderen Religionen und des Zusammenwirkens mit der Zivilgesellschaft – das setzt Hören und Hintanstellen eigener Ansprüche voraus,
  • die Absage an Atomkraft zur Energiegewinnung – es ist also durchaus kein deutscher Sonderweg, sondern ein breiterer internationaler Konsens in diese Frage vorhanden,
  • die dringende Aufforderung an die Regierungen, unmittelbar Rüstungsausgaben zugunsten von sozialen und ökologischen Programmen zu kürzen – das gälte dann auch als Auftrag für die Delegierten aus den USA und Russland (und selbstverständlich auch für die Deutschen),
  • die Bestätigung des Konzepts eines gerechten Friedens anstelle der Theorien zu einem “gerechten Krieg” – die sorgfältige theologische Arbeit, die in Deutschland dazu geleistet worden ist, hat hier hilfreich gewirkt,
  • das Zugeben, dass die ökumenische Familie sich mit der “obligation to protect” schwer tut; sie sieht sie einerseits als Aufforderung zu viel intensiverer Gewaltprävention und der Anbahnung eines Auftrags für internationale Polizeieinsätze unter dem Schirm der UN, kann aber die Versuchung des Missbrauchs eines solchen Mandats für andere Zwecke nicht ausschließen. Die Versammlung bittet infolgedessen den ÖRK angesichts der weltpolitischen Lage, “dringend, seine Position dazu zu klären”.
Jürgen Reichel

Die Teilnehmenden der Konsultation ergreifen das Wort

“Der ÖRK lernt nicht dazu” war bis zum letzten Tag immer wieder zu hören. “Genf wünscht keine echte Beteiligung.” Es ärgerte viele Teilnehmende, dass die Tage zwar mit Programm – und zwar vielen wunderbaren Andachten und Gottesdiensten, aufregend guten Bibelarbeiten und Workshops – voll gepackt waren, dass die thematischen Veranstaltungen aber beziehungslos nebeneinander standen. Die sorgfältig vorbereiteten Texte, der “Aufruf zum Gerechten Frieden” oder die ausführlichen Erläuterungen, spielten bei der Konsultation gar keine Rolle mehr.
Bei den Plenarveranstaltungen gab es so gut wie keine Möglichkeiten, sich einzubringen. Niemand verstand, wie die den Themen zugeordneten Seminare zu einer Meinungsbildung der Konsultation beitragen sollten – sie blieben für sich stehen. Angeblich gab es vorher bestimmte Rapporteure in den Workshops, die gaben sich aber nicht zu erkennen. Moderationen der Großveranstaltungen waren mitunter lust- und kunstlos, zumindest aber nicht besonders bemüht, Gedankenfortschritte herauszuarbeiten. Die Plena waren mit vielen bekannten Gesichtern aus dem inneren Zirkel der ökumenischen Familie besetzt und brachten zu wenig frischen Wind, den Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft hereingebracht hätten. Vor allem die großen Plenarveranstaltungen blieben deshalb leblos. Muss das beim ÖRK so sein?
Am letzten Tag brachen die Dämme: Die Botschaft “Ehre sei Gott und Friede auf Erden” wurde eingebracht – in der rührenden Hoffnung, sie nach 15 Minuten Gesprächen in Kleingruppen und 20 Minuten Voten im Plenum abschließen zu können. Die eine kurze Chance zur Beteiligung ergriffen an die 100 Teilnehmer: Unabsehbar lange Schlangen bildeten sich vor den beiden Mikrophonen, um Voten zur Botschaft abzugeben, ein sichtlich genervter Moderator wurde der Situation nicht gerecht und musste sich anhören, dass nun endlich die Zeit gekommen sei, dass das Plenum einmal zuhöre.
Wie kann ein ÖRK, der die Fahnen der Partizipation und Demokratie so hoch hält, seine eigenen Veranstaltungen nur so hermetisch anlegen?
Jürgen Reichel

Dienstag, 24. Mai 2011

Das Dilemma mit der Sicherheit


Die Bibel kennt das Wort Sicherheit nicht, so Prof. Lisa Schirch-Elias von der Eastern Mennonite University. Es habe seinen tieferen Sinn, dass in der Bibel von Frieden und Gerechtigkeit die Rede sei. Unser Sicherheitsdenken beruht auf der “Phantasie die größeren Feuerkraft”, so Schirch-Elias in ihrem Eingansstatement in der Diskussion zum Tagesthema “Frieden zwischen den Völkern”. Die Bibel aber fordere auf, Beziehungen zu transformieren, aus Distanz Nähe, aus Fremden Bekannte und aus Feinden Freunde zu machen. “So etwas tut man nicht mit überlegener Feuerkraft”. Nur auf dem Weg, den die Bibel aufzeige, könne “safety” für alle Menschen geschaffen werden. Hier ist das Englische dem Deutschen überlegen: wo wir das Wort Sicherheit verwenden, kennt das Englische die Begriffe “security” und “safety”, was eine feine, aber fundamental wichtige Differenzierung ermöglicht.
Dem stimmte Erzbischof Avak Asadourian, Generalsekretär des "Council of Chrisitan Church Leaders" im Irak zu. Im Blick auf die Diskussionen über die “Responsibility to Protect”  habe die Politik noch immer nicht alle kreativen Möglichkeiten ausgelotet, wie man ohne Gewalt Menschen schützen könne. “Wir gehen sehr schnell den militärischen Weg, wenn es um Schutz geht”, so Asadourian. “Wir können aber nicht mit Gewalt schützen, sondern nur, indem wir uns auf die Menschen, auf das Andere einlassen und uns mit ihm auseinander setzen”. In diesem Zusammenhang verwahrte er sich scharf gegen die in Europa und Nordamerika oft verwendete Formulierung, die Christen seien “eine Minderheit im Irak”. “Wir sind Iraker, wie alle anderen auch. Wir sind ein integraler Teil der irakischen  Geschichte, der irakischen Kultur und des irakischen Volkes. Wir setzen uns für Frieden im Irak für alle Iraker ein!” betonte Asadourian. Dies werde auch von vielen Muslimen im Irak so gesehen, die die Christen auffordern, das Land nicht zu verlassen, “weil wir sonst einen Teil unserer Seele verlieren”.
Gerade die Geschichte im Irak zeige, so Schirch-Elias, dass die Kirchen in den USA das Konzept der “Sicherheit” für sich noch nicht durchgearbeitet haben. Viele Kirchenleitungen haben sich in den USA gegen die Intervention im Irak ausgesprochen. “In der Gemeinde aber war die Einstellung eine völlig andere”. Es reiche eben nicht, wenn Kirchenleitungen wohl klingende Dokumente formulieren und in gesetzten Worten sich zu politischen Entscheidungen äußern. Sie müssten auch ihre eigenen Gemeinden überzeugen und mitnehmen. Diese Hausaufgabe habe kaum eine Kirche zum Thema “Sicherheit” gemacht.
Dr. Patricia Lewis vom Monterey Institute of International Studies, stellte die rhetorische Frage: “Was hat das Sicherheitsparadigma mit unserer Psyche, mit unseren Seelen gemacht?” Im 20. Jahrhundert seien 160 Millionen Tote in Folge direkter physischer Gewalt zu beklagen. Und noch immer drehe sich die Rüstungsspirale weiter. 2010 seien die internationalen Rüstungsausgaben so hoch gewesen, wie noch nie seit dem zweiten Weltkrieg. “Für unsere Sicherheit sind wir bereit, Massenmord zu begehen!” Sie forderte die Kirchen auf, nachhaltig von ihren Regierungen die Abrüstung der militärischen Potentiale einzufordern, wobei sie sich nicht auf die Nuklearwaffenarsenale beschränken dürften. Gerade die nahezu unbeschränkte Verfügbarkeit von Kleinwaffen habe diese inzwischen zur größten Gefahr für die Menschen werden lassen.
Hier kritisierte Dr. Christine Agbotom-Johnson, stellvertretende Direktorin des "UN Institute for Disarmamant Research", dass man sich nicht nur auf die technischen Aspekte der Abrüstung , die Instrumente der Gewalt, konzentrieren dürfe. “Das eigentliche Problem ist nicht die Waffe. Das eigentliche Problem ist der Mensch, der sie benutzt”, so Agbotom-Johnson. Die Kirchen hätten eine besondere Aufgabe darin, eben diese Ebene der Abrüstung zu bearbeiten. Erziehung zur Friedensfähigkeit müsse im Kindesalter beginnen, was viele Kirchen auch machen. Sie müsse aber ständig neu begründet und verstärkt warden. “Friedfertigkeit ist kein Zustand, den man erreicht, sondern eine Haltung, um die man ständig ringen muss.”
Auf die Zwischenfrage des Moderators Kjell Magne Bondevik, Leiter des "Olso Center for Peace and Human Rights", ob die Welt “a safer space” - ein sicherer Raum - werde, wenn mehr Frauen in Entscheidungspositionen wären, entgegnete Schirch-Elias, dass nur mit der Tatsache, dass eine Frau eine bestimmte Position inne habe, nichts gewonnen sei. Das habe man mit vielen Frauen in hohen politischen Ämtern erleben müssen. Entscheidend sei, in welche sozialen Beziehungen Frauen in Leitungspositionen eingebunden seien.
In die Podiumsdiskussion wurde eine Videobotschaft von Setsuko Thurlow eingespielt, die nicht hatte nach Jamaika kommen können. Setsuko Thurlow hatte als Jugendliche den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima erlebt. Sie schilderte ihr Erleben in so nüchternen Worten, dass einem der Atem stockte. Wie die, die nach dem Abwurf noch laufen konnten, versuchten, den grauenvoll Verstümmelten zu helfen, obwohl es nichts mehr gab, womit man helfen konnte. “Niemand, kein Kind soll noch einmal erleben, was ich erleben musste” apellierte sie an die Delegierten. Setzt Euch fuer die Ächtung von Atomwaffen, von Massenvernichtungswaffen aller Art, für die Beendigung aller Kriege ein”.
Wolfgang Heinrich

Die IöFK lernt Beteiligung

Die heutige Plenumsveranstaltung im großen Zelt werden sich viele Delegierte rot im Kalender anstreichen. Erstmals bekam die Versammlungsleitung einen Anfall von Partizipation. Nach der Podiumsdiskussion wurde in Kleingruppen diskutiert. Als Bondevik die Gruppen aufforderte, aus ihrer Diskussion Fragen oder Anregungen an das Podium zu geben, bildeten sich in Windeseile lange Schlangen vor den beiden Saalmikrofonen. Sichtlich verunsichert, wie mit dieser Situation umzugehen sei, entschied sich Bondevik, die Sitzung zu überziehen und alle zu Wort kommen zu lassen. Beim Hinausgehen fragten viele Delegierte, warum dies nicht bereits in den letzten Tagen so gehandhabt worden war. Viel Frust, der in Pausengesprächen immer wieder zum Ausdruck kam, hätte man so vermeiden können. Nun kann man gespannt sein auf den Abschlusstag.
Wolfgang Heinrich

Montag, 23. Mai 2011

Es ist Zeit, aus der Komfortecke herauszukommen


„Die Kirchen lieben ihre comfort zone“. Kann „Frieden“ der richtige Begriff für das sein, was die Kirchen im Markt und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen einfordern müssten? Mit dieser Frage rüttelte Roderick Hewitt, Pastor der United Church of Jamaika, eine Podiumsdiskussion auf, die zuvor in den ausgetretenen Pfaden der radikalen Globalisierungskritik vor sich hin gedümpelt hatte.

Den Auftakt zu der Plenumsveranstaltung zu dem Tagesthema „Peace in the Marketplace“ hatte Valentine Mokiwa aus Tansania gemacht, der Präsident der Allafrikanischen Kirchenkonferenz. Er schilderte das Investitionsverhalten internationaler Unternehmen vor allem im extraktiven Bereich in Afrika. Es folgte, was so oft folgt. Der Markt als der große Dämon, den es zu bekämpfen gelte, die Kirchen, die auf Grund ihres Auftrages und ihres Selbstverständnisses eine besondere Verantwortung haben, diesen Dämon zu bekämpfen. Was dies genau heißt und wie die Alternative zum real existierenden Wirtschaftsgeschehen sein könnte, blieb allerdings im Ungewissen.

Eine erste Irritation in die altbekannte Debatte hatte Prof. Emmanuel Clapsis, orthodoxer Theologe und Mitglied der  Referenzgruppe der Dekade zur Überwindung der Gewalt, geworfen als er feststellte, die Kirchen allein könnten in diesem Problemfeld nichts bewegen, sie müssten sich in Bündnisse mit Netzwerken und zivilgesellschaftlichen Akteuren begeben und mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zusammen arbeiten. Roderick Hewitt griff dieses Argument auf und stellte fest, dass die Kirchen nicht getrennt „neben dem Markt“ stehen würden. Vielmehr seien sie Teil des selben und oft Profiteure ausbeuterischer Marktmechanismen. Es stimme, dass sich Kirchen an vielen Orten den Opfern des „Marktes mit dem großem M“ (durch diese Formulierung unterschied er den Weltmarkt von den Nationalen Märkten, den „Märkten mit dem kleinen m“) zuwenden. Es stimmt aber auch, dass sie ebenso von den Mechanismen des Weltmarktes profitieren. „Wir haben Schuld auf uns geladen! Welche Glaubwürdigkeit hat unsere Kritik an der Art des Wirtschaftens, wenn wir selber davon profitieren?“ Er forderte, die Kirchen müssten zunächst ihre eigene Schuld wahrnehmen, prüfen, wie sie durch ihr Verhalten im „Markt mit dem kleinen m“ die Mechanismen des „Marktes mit dem großen M“ nutzen. Sie müssten zunächst glaubwürdig alternative Formen des Wirtschaftens in den Kirchen selbst einführen, bevor sie andere kritisieren könnten.

So erhielt die altbekannte Globalisierungskritik am Schluss doch noch eine vorwärts weisende Wendung. Omega Bula von der United Church of Christ in Kanada griff den Faden auf und schilderte, welche Kontroversen und Schmerzen es in ihrer Kirche gegeben hab, als sie ihr eigenes Anlageverhalten überprüfte und durchgesetzt wurde, dass die Kirche ihre Anlagen etwa für Pensionsfonds nach theologisch begründeten ethischen Prinzipien ausrichtet. Valentine Mokiwa stimmte zu und stellte fest, dass viele Kirchen „die Wunden der Opfer verbinden“, aber zu dem Unrecht selbst viel zu lange geschwiegen und ihre eigene Verstrickung nicht wahrgenommen hätten. Viele Kirchen müssten „erst noch lernen, ihre Verstrickung wahrzunehmen“, meinte er.

Hierzu merkte Roderick Hewitt an, dass die Kirchen ihre „comfort zone“ lieben. „Wir neigen dazu, mit unserer Sprache die eigentlichen Probleme und Konflikte zu verschleiern. Kann „Friede“ im Zusammenhang mit dem Markt der richtige begriff sein?“, fragte er. „Die Finanzkrise hat den Kirchen die goldene Gelegenheit gegeben, ihr eigenes Handeln und ihre Haltung zu überdenken. Es ist Zeit, aus der Komfortecke herauszukommen und sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Die Kirchen müssen ihre Identität, ihren Auftrag und ihre Visionen angesichts der Ungerechtigkeiten im internationalen Wirtschaftsgeschehen neu bestimmen. Dafür müssen wir unsere Verstrickung radikal analysieren und bekennen, wo wir schuldig geworden sind. Erst dann sind wir glaubwürdig.“ 

Wolfgang Heinrich

Sonntag, 22. Mai 2011

Eine weltweite geistige Kraft

Das Herz der Konferenz sind Gottesdienste, Andachten, die partizipativen Bibelarbeiten und der Austausch der Teilnehmenden bei allen sich bietenden Gelegenheiten. Wir erfahren un-mittelbar, dass sich Tag für Tag Menschen in allen Ländern der Welt an denselben biblischen Texten orientieren und sie für ihr Leben sprechend machen.

Was heißt es, dass der Wolf neben dem Lamm wohnen wird (Jesaja 11) und dass Jesus im Gleichnis den zuletzt hinzugekommenen Arbeitern denselben Lohn vom Weinbergsbesitzer zuteilen lässt wie denen, die schon den ganzen Tag gearbeitet haben (Matthäus 20)?

Über die Kirchen wirken biblische Vorstellungen von Gerechtigkeit und Frieden in die Gesellschaften ein und in den kleinen Gesprächszirkeln zeigt sich, dass sie nicht so unterschiedlich sind, wie unterschiedliche konfessionelle oder kulturelle Prägungen vermuten lassen würden. Die Videobotschaft des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel zum Konferenzgottesdienst am Friedenssonntag, die zu Gerechtigkeit und Frieden aufruft, kann von baptistischen Kolumbianern genauso angenommen werden wie von lutherischen Indonesierinnen. Zu den großen Programmen und ethischen Entwürfen scheinen die im ÖRK verbundenen Kirchen im Moment nicht in der Lage zu sein, aber sie erzielen Einigkeit darüber, dass Christen sich für Frieden und Gerechtigkeit an ihrem Ort einsetzen und hören voneinander, wie das in Brasilien, im Kongo oder in Neuseeland geschieht.

Jürgen Reichel

Wirtschaftsethik bleibt ein schwieriges Thema für den Ökumenischen Rat der Kirchen

„Friede auf dem Marktplatz“ ist eine der Themenachsen der Friedenskonsultation. Wie muss ein Markt beschaffen sein, dass er gerechten Frieden befördert, welche gesellschaftlichen Verwerfungen bis hin zu gewaltsamen Konflikten werden durch Märkte hervorgerufen, welche Interventionen in das Marktgeschehen sind nötig? Leider sieht der ÖRK weiter von differenzierten Analysen ab.
Redner reihen – im einzelnen durchaus zutreffende - Beispiele aneinander, wie transnationale Unternehmen das Recht auf Wasser für Dorfbewohner beschneiden (Coca Cola in Indien) oder Umweltverwüstungen anrichten, Rohstoffe mit riesigen Gewinnen exportieren und nur geringfügig Einkünfte für das Land selber herausspringen (Goldabbau in Tansania). Die Gedankenführung springt dann aber vom Episodenhaften zum ganz Grundsätzlichen: Der „dominante Markt“ wird zum „wilden Tier, der pauschal „Menschen ausbeutet“. Behauptungen vom Podium, dass man mit Marktkonzepten grundsätzlich nichts anfangen möchte, weil sie auf Gier fußten, bleiben unwidersprochen oder werden gar beklatscht.
Überhaupt ist wenig Raum für Diskurse. Die Podien sind zumeist mit kirchlichen Insidern besetzt. Einsichten von außerhalb der ökumenischen Szene, der Wirtschaft, der Politik oder der Wissenschaft, kommen nicht zu Gehör. Aussprachen über die Referate finden fast gar nicht statt, damit leider auch keine erkennbare Meinungsbildung unter den 1000 Teilnehmenden.
Nur am Rande kommt es zu belebend kuriosen Szenen, wenn etwa bei einer der wenigen Zwischenfragen der Teilnehmer aus Lateinamerika das Plenum dazu auffordert, sich dafür einzusetzen, dass die Bananen aus Mittel- und Südamerika wieder Zollpräferenzen der EU erhalten. Nicht alle Teilnehmer scheinen dem Marktgeschehen ablehnend gegenüber zu stehen.
Jürgen Reichel

Samstag, 21. Mai 2011

"Gerechter Friede" leuchtet Vertretern anderer Religionen nicht ein

Intelligent und unpolemisch zerpflücken die hinduistischen, jüdischen und muslimischen Gäste, die um einen Kommentar zum "Ökumenischen Aufruf für einen gerechten Frieden" gebeten werden, das Konzept. Man erkenne keine aktuelle Notwendigkeit für eine solche Gedankenentwicklung. Die Stellungsnahme sei ortslos. Für die akut vorhandenen virulenten Konflikte ließen sich keine Handlungsmaximen ableiten. Vor allem aber: Das Ganze sei "largely liberal" – so Dr. Farid, Repräsentant der muslimischen Gemeinschaft in Südafrika, in abwertender Absicht.

Für Muslime sei eine Haltung der Gewaltlosigkeit schwer vorstellbar, so Dr. Farid. Er selbst sehne sich manchmal nach der Botschaft de Verletzlichkeit, die im Sterben Jesu Christi angelegt sei. Der Profet Mohamed hingegen habe Kriege angeführt. Der Koran sei nicht das missverstandene Buch, zu dem liberale Geister es machen wollten, der Dschihad eine grundsätzlich immer kriegerisch zu denkende Aufgabe. Angesichts der Gewalt, die Wehrlosen angetan wer, sei die Vorstellung des "gerechten Friedens" unangebracht. Notwendig sei vielmehr eine Haltung des Widerstands – insbesondere für die Muslime, denn: "Derzeit sind alle Muslime Opfer der USA".

Schwer tut sich auch Rabbi Zidliki aus Peru mit dem "Gerechten Frieden": So sehr der Talmud die Verwobenheit von Frieden, Gerechtigkeit und Wahrheit betone, seien die geschichtlichen Umstände oft genug nicht so, dass man einen "gerechten Frieden" anstreben könne. "Die Juden hätten keinen gerechten Frieden mit Hitler schließen können." Juden hätten nach 1945 die Schlussfolgerung gezogen, dass man sich nicht mehr wie Vieh in die Konzentrationslager treiben lassen würde.

Jürgen Reichel

„Frieden mit der Erde“ nur durch Rückgriff auf Naturreligiosität möglich?

Der Ökumenische Rat der Kirchen führt in eine andere Vorstellungswelt, wenn es um den „Frieden mit der Erde“, die ökologische Nachhaltigkeit geht. Nicht von Klimazielen ist die Rede, Emissionsrechten oder Energiekonzepten, sondern davon, wie "die Spiritualität der indigenen Völker ein Geschenk für die Kirche sein kann." Die Schlüsselvorträge kommen aus zum Beispiel aus Tuvalu, Indien und Guatemala, allesamt mit starken Rückgriffen auf das naturreligiöse Erbe. Sie geben Hinweise auf die verloren gegangene Einheit zwischen Mensch und Natur, oder die Entdeckung Gottes in den natürlichen Abläufen. Selbst muslimische Gäste erklären sich mit der anthropozentrischen Sichtweise des Koran nicht einverstanden. Die Schöpfung sei nicht auf den Menschen hin geordnet. Die "Mutter Erde" wird immer angeführt, auch in Präsentationen des Ökumenischen Rates der Kirchen.

Es scheint, als ob die monotheistischen Religionen sich nicht wohl in ihrer Haut fühlen. Als ob sie fürchten, dass die Verdrängung naturreligiöser Glaubensvorstellungen den Anschub zu den ökologischen Problemen der Neuzeit gegeben habe. Da die Grundannahme nicht reflektiert wird, kommt es zu gewagten Behauptungen: "Indigene Völker leben in exemplarischer Weise Nachhaltigkeit", behauptet der Grundtext der Versammlung, der "Ökumenische Aufruf für einen gerechten Frieden" zum Beispiel – als ob indigene Völker, die Maya in Mittelamerika oder die vorkolumbianischen Jäger Nordamerikas nicht gewaltige ökologische Katastrophen ausgelöst hätten.

Das Bild von "Mutter Erde" muss sparsam verwendet oder noch auf seine Brauchbarkeit untersucht werden, fordern Diskussionsteilnehmer. Nicht alle scheinen sich darauf einlassen zu wollen, christliche Glaubensvorstellungen um Naturmystik zu erweitern.

Jürgen Reichel

Überleben im Stadtpark und bei der Konferenz

Auf der Tagesordnung steht heute das Thema „Frieden mit der Erde“. In der Morgenandacht wird das Thema entfaltet. An zahlreichen Beispielen wird aufgezeigt, wie sich die Ausbeutung der Erde durch den Menschen auf die Erde selbst und die Menschen, die auf ihr leben, auwirkt. Es werden Beispiele aufgezeigt, wie jeder und jede Einzelne, aber auch der Institution Kirche selbst dazu beitragen können, verantwortungsvoll mit den endlichen Ressourcen umzugehen und die Schöpfung zu bewahren.

Die anschließende Plenumsveranstaltung im großen Zelt auf dem Mona-Campus der University of the Westindies (UWI) begann mit einem eindrucksvollen Vortrag von Pastor Tafue M. Lusama von der Congregational Church von Tuvalu. Er schilderte die Auswirkungen der Klimaerwärmung und die Konsequenzen für die acht Inseln Tuvalus. Durch der Erwärmung des Meeres sterben die Korallen vor der Küste, die Korallenbänke zerfallen und damit die Wellenbrecher, die die Inseln über Jahrtausende vor Stürmen geschützt haben. Zugleich werden die Stürme und Winde heftiger. Die gut 26 Quadratkilometer Landfläche Tuvalus für seine 12.000 Einwohner wird jedes Jahr kleiner. Salzwasser ist in die wasserführenden Schichten der Inseln eingedrungen, so das den Menschen Tuvalus nur noch der Regen als Süßwasserquelle zur Verfügung steht. Die Kirchen in Tuvalu unterstützen die Menschen nicht nur aktiv bei ihrem verzweifelten Versuch, den absehbaren Verlust der Heimat so lange wie möglich hinauszuzögern – wenn es nicht gelingen sollte, ihn zu verhindern. Sie begleiten die Menschen bereits heute dabei, sich psychisch auf diesen Verlust einzustellen.

Erschütternd inhaltsleer blieben nach diesem eindrucksvollen Auftakt aber die Ausführungen des Vertreters des Ökumenischen Rates der Kirchen in der UN Klimakommission. Elias C. Abramides trug eine lange Liste von Konferenzen, Treffen und Workshops vor. Wer aber gehofft hatte, inhaltliche Aussagen über den Stand der Klimaverhandlungen, gar etwas über Differenzen zwischen Positionen der Staaten und der Kirchen zu erfahren, wurde enttäuscht. "Wir brauchen eine Welt des Friedens und der Liebe, um den Klimawandel zu bewältigen und Frieden mit der Erde zu finden", fasste er die Quintessenz seines Vortrags zusammen. Ah ja...

Völlig anders wieder der Nachmittag. In vielen Seminaren und Workshops wurden Initiativen von Kirchen aus allen Kontinenten vorgestellt. Eine beeindruckende Vielfalt von kreativen Ideen und Strategien. Deutlich wurde, dass jede und jeder ein seinem und ihrem Ort entsprechenden Zugang und Ansatzpunkt finden muss. Einige Kirchen sind unmittelbar mit den lebensbedrohenden Folgen der Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert. Erratische Regenfälle, Dürren oder Fluten aber auch unverantwortlicher Umgang der Staaten mit toxischen Abfällen, die Zerstörung der Umwelt durch Unternehmen, die in unverantwortlicher Weise gegenüber Umwelt und Gesellschaft Rohstoffen ausbeuten, gefährden das Überleben der Menschen unmittelbar. Andere Kirchen entwickeln und erproben Modelle alternativen Wirtschaftens oder sie engagieren sich politisch, um auf politische Entscheidungsträger einzuwirken...

Hier zeigt sich eine Stärke der Konvokation: viele der Engagierten kamen hier erstmals zusammen. Sie konnten sehen, wo und wie andere sich engagieren und sie konnten nach gemeinsamen Strategien suchen. "Eigentlich bräuchten wir eine Datenbank, in der sich alle mit ihren Ansätzen, Erfolgen und Misserfolgen eintragen können und die alle Interessierten weltweit nutzen können, um uns zu vernetzen und unsere Bemühungen relevanter zu machen", meinte eine Delegierte aus Mexiko.

Absoluter Höhepunkt der Tages war ein vom Jamaikanischen Kirchenrat organisiertes Konzert im Emancipation Park in der Innenstadt. Jamaikanische Musiker, "Superstars" der Musikszene ebenso wie Kirchenchöre und der Chor der Verkehrspolizei boten den Delegierten und Parkbesuchern ein überwältigendes Programm. Musik unterschiedlicher Stilrichtungen, von Reggae bis Klassik. Welch Rhythmus, Lebensfreude und tief empfundene, natürliche und unverkrampfte Religiosität! Gospelsong und ein leicht ironisierender Reggae-Song darüber, dass es für jedes Lebensproblem einen Psalm gibt, nacheinander.

Im kommenden Jahr feiert Jamaika sein 50 jähriges Bestehen. Der Musiker, der das Lied für das 25 jährige Bestehen geschrieben hatte, ist beauftragt, auch für das 50jährige ein Lied zu schreiben. Für die Delegierten trug er sein Lied für das 25 jährige vor. Das Stadtpublikum im Park sang inbrünstig mit. Das Lied hängt mir nach. Der Refrain lautete: „We have survived!“ - Wir haben überlebt!

Wolfgang Heinrich

Freitag, 20. Mai 2011

Pain in Paradise

Jamaika kann kein seriöser Tagungsort sein. Nicht für eine internationale ökumenische Friedenskonvokation. Der Blick der Gesprächspartner nimmt sofort einen verschwörerischen Ausdruck an. „Nach Jamaika dienstlich? Ach ja.“ Es gibt aber gute Gründe für eine Friedenskonferenz der Kirchen, mit der die Dekade zur Überwindung von Gewalt abgeschlossen wird, auf der Karibikinsel. Vom „pain in paradise“ spricht der Generalsekretär des Karibischen Kirchenrates, Gerard Granado. Seit der Eroberung durch europäische Mächte herrsche auf der Insel eine Kultur der Gewalt. „Wir haben keine Dekade des Versuchs, Gewalt einzugrenzen hinter uns, sondern 500 Jahre.“
Die „Welthauptstadt für Morde“ nennen die Mitarbeiter der Grace & Staff Community Development Foundation Kingston, die jamaikanische Hauptstadt. Nicht nur sie, sondern zahllose Initiativen versuchen, Jugendliche aus dem Kreislauf der Gewalt, bei dem Drogen und Arbeitslosigkeit heute eine beherrschende Rolle spielen, herauszulösen: Hausaufgabenbetreuung, Freizeitgestaltung, Arbeit mit oft arbeitslosen, mitunter gewalttätigen Eltern, Stipendien für Sekundarschule und Universität.
Man will die Gewalt lieber nicht selber kennen lernen, über die wir bei der Friedenskonvokation reden.

Verheißungsvoller Beginn
Das Gottesdienstleben in der ökumenischen Familie ist wunderbar. Man kann sich darauf einstellen, dass die etwa 1000 Teilnehmer morgens, mittags und abends beschwingt Gottesdienst feiern. Für manche ein Graus: Liturgische Elemente aus Südafrika und der Orthodoxie, der Karibik und Kanada mischen sich und bilden einen Teppich aus Klängen und Aktionen. Bei den Chören schwappt die Begeisterung der Sänger und Sängerinnen auf die Konferenzgemeinde über. Nicht jeder versteht alles, denn gebetet, gesprochen, gesungen, gebetet wird auf Englisch, Spanisch, Deutsch. Aber alle scheinen froh zu sein: Die Konvokation findet nicht nur, wie schon befürchtet, mit Ach und Krach statt – es sind viele Teilnehmer gekommen, die Arbeitsdokumente sind vorbereitet, die University of the Westindies bietet einen einladenden und geeigneten Tagungsort, die Organisation steht. Jetzt sind die Teilnehmer dran: Es geht um etwas: Kann die Christenheit noch vom „gerechten Krieg“ reden?

Es geht um etwas
Texte des Ökumenischen Rates der Kirchen sind zu lesen wie die des Vatikan: Es gibt Brüche, weil die Dokumente eine Redaktionsgeschichte hinter sich haben. Widerstrebende Interessen werden abgeglichen, indem gegensätzliche Meinungen aufgenommen werden. Der Insider kann abschätzen, wie viel Millimeter einer Partei heruntergehandelt worden sind und schließt darauf, wie das Ringen am Ende ausgeht. Nicht anders der Entwurf eines„Ökumenische Aufruf zu einem Gerechten Frieden“.
Wird die ökumenische Familie, wie sie in Jamaika zusammen gekommen ist, die theologisch-philosophische Anschauung, es gebe Kriterien für einen „gerechten Krieg“ in Bausch und Bogen verurteilen? Wird sie das neue Konzept des „gerechten Friedens“ entfalten und den kniffligen Fragen – „wie hältst Du es mit der UN-Resolution, die die „responsibility to protect“ eingeführt hat, mitunter die Ermächtigung zur Gewaltanwendung zum Schutz der Bevölkerung vor der eigenen Regierung – aus dem Weg gehen? Wird sie den pazifistischen Weg der kleinen Friedenskirchen, der Quäker oder Mennoniten, zur wahrhaftigeren oder zur einzig denkbaren Alternative erklären?
Die Friedenskonvokation kann keine bindenden Entschlüsse fassen, aber in Zeiten der Demokratiebewegungen in Nordafrika, der gewaltsamen Unterdrückung von Protesten im arabischen Raum, dem „war on terror“, den Sicherheitsstrategien von NATO oder EU, die Handelswege schützen wollen und einer unklaren Bundeswehrreform in Deutschland kann von Erklärungen zur Legitimität von Gewalt eine Signalwirkung ausgehen.

Erstes Wetterleuchten
Der russisch-orthodoxe Metroplit Hilarion von Volokalamsk setzt eigene Akzente: Nicht häusliche Gewalt, der Frieden mit der Natur oder Gerechtigkeit in den weltweiten Zusammenhängen als Voraussetzung für friedliches Miteinander ist das Thema seines Eingangsvortrags. Er variiert die Themen Gewalt in den Medien und Christenverfolgungen. Eine klare Absage an die Kongressprogrammatik? Nicht nur in der Themensetzung provokant, weil die Thematiken allesamt als Schwächen oder Versagen des „Westens“ verstanden werden können, sondern auch in der Logik der Darbietung: Gewalt im Fernsehen zeigt für Metropolit Hilarion, wohin die Rede- und Pressefreiheit führen: Ein Plädoyer für die Beschneidung der Menschenrechte? Eine Forderung nach restriktiver Mediengesetzgebung? Menschenrechte ja, aber um sich – laut Redemanuskript - „in erster Linie für die Brüder und Schwestern einzusetzen“: Eine gewollte Bestreitung des Gleichheitsgrundsatzes? In Russland schließlich gebe es „keine religiösen Kriege oder religiöse Konfrontationen in unserer Geschichte“. Ein Testballon – wie weit kann man gehen, bevor die Versammlung protestiert und an Tschetschenien oder die Einschränkung der freien Religionsausübung in Russland, zum Beispiel für protestantische Kirchen, erinnert? Die Versammlung spendet warmen Applaus. Irritierend.

„Eine neue Welt ist möglich“…
proklamiert Paul Ostreicher aus England, bekannt als langjähriger Direktor des Coventry Cathedral Centre for International Reconciliation. Er plädiert für ein „Nein ohne jedes Ja“, wenn es um Legitimierung von Gewalt geht, erinnert an die konsequenten Kriegsdienstverweigerer, rollt die tragische Geschichte des 20. Jahrhunderts auf, die für ihn als Kind von aus Nazi-Deutschland vertriebenen Eltern begonnen hat. Erinnert an Gandhi und Einstein, die den gewaltlosen gekreuzigten Jesus besser verstanden hätten als die etablierten Kirchen. Ist hoffnungsvoll, weil es zwar das von Bonhoeffer geforderte Friedenskonzil noch immer nicht gegeben habe, aber weil sich das internationale Recht weiterentwickle. Internationale Gerichtshöfe würden schlussendlich das Kriegsführen unter Strafe stellen. Einsätze unter dem Mandat der UN könnten in Zukunft als Polizeiaktionen gefasst werden und bräuchten dann freilich eine andere Ausrichtung. Es bleibe – das ist Oestreicher ehrlich – ein Reststreit zwischen dem Einsatz für Gerechtigkeit und der Notwendigkeit, diesen Einsatz friedlich durchführen zu wollen.
Dieselbe kirchliche Versammlung vor 100 Jahren? Undenkbar, dass sich eine Mehrheit auf ein Ringen darum zubewegt hätte, ob nach christlichem Verständnis noch ein letzter Zipfel Recht zur internationalen Gewaltausübung erhalten bleiben soll oder nicht. 
Jürgen Reichel

Donnerstag, 19. Mai 2011

"Jamaika - no problem"

Der erste Arbeitstag der Konvokation beginnt mit einem inzwischen bekannten und eingespielten Ritual. Die ökumenische Bewegung steht. Sie steht in Schlangen. Organisatorisch ist die Veranstaltung mit 1000 Besuchern eine Herkulesaufgabe.

Die Mitarbeitenden der Universität sind seit vier Uhr früh auf den Beinen. "Um sechs Uhr wollen wir das Frühstück für die Gäste fertig haben", erzählt der Koch in Aston Preston Hall, einem der Quartiere, wo die Delegierten untergebracht sind. Aber auch das ist nicht früh genug. Die Wärme treibt viele Delegierte bereits in aller Frühe aus ihren Zimmern. Und das Arbeitsprogramm beginnt um acht Uhr. Aber, wie Paul Gardner, der Generalsekretär des Jamaikanischen Kirchenrates in seiner Eröffnung am Vortag gesagt hatte: hier gilt das Motto Jamaikas: "Jamaika – no problem". Gelassen steht man in den Tag – und übt sich in einer Tugend, die man im Laufe des Tages immer wieder brauchen wird.

Wolfgang Heinrich

Mittwoch, 18. Mai 2011

600 Jahre – und wir zählen immer noch

"Die Kirchen dürfen hier nicht zu kurz springen", machte der Generalsekretär der Karibischen Kirchenkonferenz, Gerard Granade, in seinem Grußwort an die Delegierten auf der Internationale Ökumenische Friedenskonvokation deutlich. "Vor zweihundert Jahren wurde die Sklaverei abgeschafft. Noch heute leiden die Gesellschaften in der Karibik an ihren Folgen."

Eindrücklich schilderte Granade die Verwerfungen, die die Gewalt der Sklaverei und des Kolonialismus in den Gesellschaften verursacht haben: "Wir sprechen nicht von einer Dekade zur Überwindung der Gewalt, wir sprechen hier von 600 Jahren – und wir zählen immer noch," appellierte er an die Delegierten. "Wenn wir es ernst meinen, dass unsere Kinder und Kindeskinder eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden erleben, dann müssen wir heute den Krieg, Gewalt in den Gemeinschaften, Gewalt gegen die Erde, Gewalt zwischen den Völkern und die Gewalt ungerechter Wirtschaftsbeziehungen überwinden, denn es wird Jahrhunderte dauern, bis wir auch deren Folgen hinter uns lassen können."

Wolfgang Heinrich

Dienstag, 17. Mai 2011

"Ehre sei Gott und Friede auf Erden"

Mehr als 1.000 Delegierte aus allen Erdteilen versammeln sich vom 18. bis 25. Mai in Kingston zur "Internationalen ökumenischen Friedenskonvokation" (IöFK). Die über 300 Mitgliedskirchen des "Ökumenischen Rats der Kirchen" planen dort einen gemeinsamen "ökumenischen Aufruf zum gerechten Frieden". Zwei Mitarbeitende des Evangelischen Entwicklungsdiensts (EED) sind ebenfalls in der jamaikanischen Hauptstadt vor Ort und stehen während der Konvokation für Interviews zur Verfügung.

Die IöFK ist als "Erntedankfest" geplant, um die Erfolge des Jahrzehnts zur Überwindung von Gewalt seit 2001 zu feiern. Gleichzeitig soll das Treffen alle Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen ermutigen, ihr Engagement für Gewaltlosigkeit, Frieden und Gerechtigkeit zu erneuern.

Der EED wird in diesem Blog täglich über die Friedenskonvokation berichten und Delegierte aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder dem Nahen Osten mit ihren Überlegungen zu einem weltweiten "gerechten Frieden" zu Wort kommen lassen.

Zur deutschen Delegation, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammengestellt wurde, gehören auch Jürgen Reichel und Wolfgang Heinrich vom EED.