Freitag, 20. Mai 2011

Pain in Paradise

Jamaika kann kein seriöser Tagungsort sein. Nicht für eine internationale ökumenische Friedenskonvokation. Der Blick der Gesprächspartner nimmt sofort einen verschwörerischen Ausdruck an. „Nach Jamaika dienstlich? Ach ja.“ Es gibt aber gute Gründe für eine Friedenskonferenz der Kirchen, mit der die Dekade zur Überwindung von Gewalt abgeschlossen wird, auf der Karibikinsel. Vom „pain in paradise“ spricht der Generalsekretär des Karibischen Kirchenrates, Gerard Granado. Seit der Eroberung durch europäische Mächte herrsche auf der Insel eine Kultur der Gewalt. „Wir haben keine Dekade des Versuchs, Gewalt einzugrenzen hinter uns, sondern 500 Jahre.“
Die „Welthauptstadt für Morde“ nennen die Mitarbeiter der Grace & Staff Community Development Foundation Kingston, die jamaikanische Hauptstadt. Nicht nur sie, sondern zahllose Initiativen versuchen, Jugendliche aus dem Kreislauf der Gewalt, bei dem Drogen und Arbeitslosigkeit heute eine beherrschende Rolle spielen, herauszulösen: Hausaufgabenbetreuung, Freizeitgestaltung, Arbeit mit oft arbeitslosen, mitunter gewalttätigen Eltern, Stipendien für Sekundarschule und Universität.
Man will die Gewalt lieber nicht selber kennen lernen, über die wir bei der Friedenskonvokation reden.

Verheißungsvoller Beginn
Das Gottesdienstleben in der ökumenischen Familie ist wunderbar. Man kann sich darauf einstellen, dass die etwa 1000 Teilnehmer morgens, mittags und abends beschwingt Gottesdienst feiern. Für manche ein Graus: Liturgische Elemente aus Südafrika und der Orthodoxie, der Karibik und Kanada mischen sich und bilden einen Teppich aus Klängen und Aktionen. Bei den Chören schwappt die Begeisterung der Sänger und Sängerinnen auf die Konferenzgemeinde über. Nicht jeder versteht alles, denn gebetet, gesprochen, gesungen, gebetet wird auf Englisch, Spanisch, Deutsch. Aber alle scheinen froh zu sein: Die Konvokation findet nicht nur, wie schon befürchtet, mit Ach und Krach statt – es sind viele Teilnehmer gekommen, die Arbeitsdokumente sind vorbereitet, die University of the Westindies bietet einen einladenden und geeigneten Tagungsort, die Organisation steht. Jetzt sind die Teilnehmer dran: Es geht um etwas: Kann die Christenheit noch vom „gerechten Krieg“ reden?

Es geht um etwas
Texte des Ökumenischen Rates der Kirchen sind zu lesen wie die des Vatikan: Es gibt Brüche, weil die Dokumente eine Redaktionsgeschichte hinter sich haben. Widerstrebende Interessen werden abgeglichen, indem gegensätzliche Meinungen aufgenommen werden. Der Insider kann abschätzen, wie viel Millimeter einer Partei heruntergehandelt worden sind und schließt darauf, wie das Ringen am Ende ausgeht. Nicht anders der Entwurf eines„Ökumenische Aufruf zu einem Gerechten Frieden“.
Wird die ökumenische Familie, wie sie in Jamaika zusammen gekommen ist, die theologisch-philosophische Anschauung, es gebe Kriterien für einen „gerechten Krieg“ in Bausch und Bogen verurteilen? Wird sie das neue Konzept des „gerechten Friedens“ entfalten und den kniffligen Fragen – „wie hältst Du es mit der UN-Resolution, die die „responsibility to protect“ eingeführt hat, mitunter die Ermächtigung zur Gewaltanwendung zum Schutz der Bevölkerung vor der eigenen Regierung – aus dem Weg gehen? Wird sie den pazifistischen Weg der kleinen Friedenskirchen, der Quäker oder Mennoniten, zur wahrhaftigeren oder zur einzig denkbaren Alternative erklären?
Die Friedenskonvokation kann keine bindenden Entschlüsse fassen, aber in Zeiten der Demokratiebewegungen in Nordafrika, der gewaltsamen Unterdrückung von Protesten im arabischen Raum, dem „war on terror“, den Sicherheitsstrategien von NATO oder EU, die Handelswege schützen wollen und einer unklaren Bundeswehrreform in Deutschland kann von Erklärungen zur Legitimität von Gewalt eine Signalwirkung ausgehen.

Erstes Wetterleuchten
Der russisch-orthodoxe Metroplit Hilarion von Volokalamsk setzt eigene Akzente: Nicht häusliche Gewalt, der Frieden mit der Natur oder Gerechtigkeit in den weltweiten Zusammenhängen als Voraussetzung für friedliches Miteinander ist das Thema seines Eingangsvortrags. Er variiert die Themen Gewalt in den Medien und Christenverfolgungen. Eine klare Absage an die Kongressprogrammatik? Nicht nur in der Themensetzung provokant, weil die Thematiken allesamt als Schwächen oder Versagen des „Westens“ verstanden werden können, sondern auch in der Logik der Darbietung: Gewalt im Fernsehen zeigt für Metropolit Hilarion, wohin die Rede- und Pressefreiheit führen: Ein Plädoyer für die Beschneidung der Menschenrechte? Eine Forderung nach restriktiver Mediengesetzgebung? Menschenrechte ja, aber um sich – laut Redemanuskript - „in erster Linie für die Brüder und Schwestern einzusetzen“: Eine gewollte Bestreitung des Gleichheitsgrundsatzes? In Russland schließlich gebe es „keine religiösen Kriege oder religiöse Konfrontationen in unserer Geschichte“. Ein Testballon – wie weit kann man gehen, bevor die Versammlung protestiert und an Tschetschenien oder die Einschränkung der freien Religionsausübung in Russland, zum Beispiel für protestantische Kirchen, erinnert? Die Versammlung spendet warmen Applaus. Irritierend.

„Eine neue Welt ist möglich“…
proklamiert Paul Ostreicher aus England, bekannt als langjähriger Direktor des Coventry Cathedral Centre for International Reconciliation. Er plädiert für ein „Nein ohne jedes Ja“, wenn es um Legitimierung von Gewalt geht, erinnert an die konsequenten Kriegsdienstverweigerer, rollt die tragische Geschichte des 20. Jahrhunderts auf, die für ihn als Kind von aus Nazi-Deutschland vertriebenen Eltern begonnen hat. Erinnert an Gandhi und Einstein, die den gewaltlosen gekreuzigten Jesus besser verstanden hätten als die etablierten Kirchen. Ist hoffnungsvoll, weil es zwar das von Bonhoeffer geforderte Friedenskonzil noch immer nicht gegeben habe, aber weil sich das internationale Recht weiterentwickle. Internationale Gerichtshöfe würden schlussendlich das Kriegsführen unter Strafe stellen. Einsätze unter dem Mandat der UN könnten in Zukunft als Polizeiaktionen gefasst werden und bräuchten dann freilich eine andere Ausrichtung. Es bleibe – das ist Oestreicher ehrlich – ein Reststreit zwischen dem Einsatz für Gerechtigkeit und der Notwendigkeit, diesen Einsatz friedlich durchführen zu wollen.
Dieselbe kirchliche Versammlung vor 100 Jahren? Undenkbar, dass sich eine Mehrheit auf ein Ringen darum zubewegt hätte, ob nach christlichem Verständnis noch ein letzter Zipfel Recht zur internationalen Gewaltausübung erhalten bleiben soll oder nicht. 
Jürgen Reichel

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