Montag, 23. Mai 2011

Es ist Zeit, aus der Komfortecke herauszukommen


„Die Kirchen lieben ihre comfort zone“. Kann „Frieden“ der richtige Begriff für das sein, was die Kirchen im Markt und in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen einfordern müssten? Mit dieser Frage rüttelte Roderick Hewitt, Pastor der United Church of Jamaika, eine Podiumsdiskussion auf, die zuvor in den ausgetretenen Pfaden der radikalen Globalisierungskritik vor sich hin gedümpelt hatte.

Den Auftakt zu der Plenumsveranstaltung zu dem Tagesthema „Peace in the Marketplace“ hatte Valentine Mokiwa aus Tansania gemacht, der Präsident der Allafrikanischen Kirchenkonferenz. Er schilderte das Investitionsverhalten internationaler Unternehmen vor allem im extraktiven Bereich in Afrika. Es folgte, was so oft folgt. Der Markt als der große Dämon, den es zu bekämpfen gelte, die Kirchen, die auf Grund ihres Auftrages und ihres Selbstverständnisses eine besondere Verantwortung haben, diesen Dämon zu bekämpfen. Was dies genau heißt und wie die Alternative zum real existierenden Wirtschaftsgeschehen sein könnte, blieb allerdings im Ungewissen.

Eine erste Irritation in die altbekannte Debatte hatte Prof. Emmanuel Clapsis, orthodoxer Theologe und Mitglied der  Referenzgruppe der Dekade zur Überwindung der Gewalt, geworfen als er feststellte, die Kirchen allein könnten in diesem Problemfeld nichts bewegen, sie müssten sich in Bündnisse mit Netzwerken und zivilgesellschaftlichen Akteuren begeben und mit ihnen auf gleicher Augenhöhe zusammen arbeiten. Roderick Hewitt griff dieses Argument auf und stellte fest, dass die Kirchen nicht getrennt „neben dem Markt“ stehen würden. Vielmehr seien sie Teil des selben und oft Profiteure ausbeuterischer Marktmechanismen. Es stimme, dass sich Kirchen an vielen Orten den Opfern des „Marktes mit dem großem M“ (durch diese Formulierung unterschied er den Weltmarkt von den Nationalen Märkten, den „Märkten mit dem kleinen m“) zuwenden. Es stimmt aber auch, dass sie ebenso von den Mechanismen des Weltmarktes profitieren. „Wir haben Schuld auf uns geladen! Welche Glaubwürdigkeit hat unsere Kritik an der Art des Wirtschaftens, wenn wir selber davon profitieren?“ Er forderte, die Kirchen müssten zunächst ihre eigene Schuld wahrnehmen, prüfen, wie sie durch ihr Verhalten im „Markt mit dem kleinen m“ die Mechanismen des „Marktes mit dem großen M“ nutzen. Sie müssten zunächst glaubwürdig alternative Formen des Wirtschaftens in den Kirchen selbst einführen, bevor sie andere kritisieren könnten.

So erhielt die altbekannte Globalisierungskritik am Schluss doch noch eine vorwärts weisende Wendung. Omega Bula von der United Church of Christ in Kanada griff den Faden auf und schilderte, welche Kontroversen und Schmerzen es in ihrer Kirche gegeben hab, als sie ihr eigenes Anlageverhalten überprüfte und durchgesetzt wurde, dass die Kirche ihre Anlagen etwa für Pensionsfonds nach theologisch begründeten ethischen Prinzipien ausrichtet. Valentine Mokiwa stimmte zu und stellte fest, dass viele Kirchen „die Wunden der Opfer verbinden“, aber zu dem Unrecht selbst viel zu lange geschwiegen und ihre eigene Verstrickung nicht wahrgenommen hätten. Viele Kirchen müssten „erst noch lernen, ihre Verstrickung wahrzunehmen“, meinte er.

Hierzu merkte Roderick Hewitt an, dass die Kirchen ihre „comfort zone“ lieben. „Wir neigen dazu, mit unserer Sprache die eigentlichen Probleme und Konflikte zu verschleiern. Kann „Friede“ im Zusammenhang mit dem Markt der richtige begriff sein?“, fragte er. „Die Finanzkrise hat den Kirchen die goldene Gelegenheit gegeben, ihr eigenes Handeln und ihre Haltung zu überdenken. Es ist Zeit, aus der Komfortecke herauszukommen und sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen. Die Kirchen müssen ihre Identität, ihren Auftrag und ihre Visionen angesichts der Ungerechtigkeiten im internationalen Wirtschaftsgeschehen neu bestimmen. Dafür müssen wir unsere Verstrickung radikal analysieren und bekennen, wo wir schuldig geworden sind. Erst dann sind wir glaubwürdig.“ 

Wolfgang Heinrich

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen