Mehr als 1.000 Delegierte aus allen Erdteilen versammeln sich vom 18. bis 25. Mai in Kingston zur "Internationalen ökumenischen Friedenskonvokation" (IöFK).Jürgen Reichel und Wolfgang Heinrich vom Evangelischen Entwicklungsdienst sind in der jamaikanischen Hauptstadt vor Ort.
Mittwoch, 25. Mai 2011
Zum Schluss: Botschaft für Gerechten Frieden erreicht
Die Abschlusserklärung “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden”
Die Botschaft “Ehre sei Gott und Frieden auf Erden” stellt diese Bezüge her. Sie zeigt auch, dass die Kirchen auf dem Weg sind und diesen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten gehen, dass das aber dem ökumenischen Miteinander nicht abträglich ist: “Einige (Kirchen) heben die Notwendigkeit hervor, sich zuerst auf die gegenseitige Unterstützung und Fortschritte innerhalb des Leibes Christi zu konzentrieren. Andere ermutigen die Zusammenarbeit mit breiteren sozialen Bewegungen und das öffentliche Zeugnis der Kirchen. Jede Herangehensweise hat ihre Berechtigung, sie schließen sich nicht gegenseitig aus. Tatsächlich gehören sie untrennbar zusammen.”
In Konferenztexten geht leicht unter, was besonders umkämpft war oder in der Situation bedeutsam ist. Einige Punkte stechen aus der Botschaft hervor:
- die Aufforderung an die Kirchen, für Themen, die die Sexualität betreffen, “geschützte (Gesprächs-) Räume bereit zu stellen” – das ist etwas anderes, als von der Kanzel richtig und falsch zu verkünden,
- das starke Plädoyer für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung – in den meisten Ländern der Welt heutzutage nicht denkbar und durchaus kein Herzensanliegen für alle Kirchen,
- die immer wiederkehrende Betonung des Willens zur Zusammenarbeit mit anderen Religionen und des Zusammenwirkens mit der Zivilgesellschaft – das setzt Hören und Hintanstellen eigener Ansprüche voraus,
- die Absage an Atomkraft zur Energiegewinnung – es ist also durchaus kein deutscher Sonderweg, sondern ein breiterer internationaler Konsens in diese Frage vorhanden,
- die dringende Aufforderung an die Regierungen, unmittelbar Rüstungsausgaben zugunsten von sozialen und ökologischen Programmen zu kürzen – das gälte dann auch als Auftrag für die Delegierten aus den USA und Russland (und selbstverständlich auch für die Deutschen),
- die Bestätigung des Konzepts eines gerechten Friedens anstelle der Theorien zu einem “gerechten Krieg” – die sorgfältige theologische Arbeit, die in Deutschland dazu geleistet worden ist, hat hier hilfreich gewirkt,
- das Zugeben, dass die ökumenische Familie sich mit der “obligation to protect” schwer tut; sie sieht sie einerseits als Aufforderung zu viel intensiverer Gewaltprävention und der Anbahnung eines Auftrags für internationale Polizeieinsätze unter dem Schirm der UN, kann aber die Versuchung des Missbrauchs eines solchen Mandats für andere Zwecke nicht ausschließen. Die Versammlung bittet infolgedessen den ÖRK angesichts der weltpolitischen Lage, “dringend, seine Position dazu zu klären”.
Die Teilnehmenden der Konsultation ergreifen das Wort
Bei den Plenarveranstaltungen gab es so gut wie keine Möglichkeiten, sich einzubringen. Niemand verstand, wie die den Themen zugeordneten Seminare zu einer Meinungsbildung der Konsultation beitragen sollten – sie blieben für sich stehen. Angeblich gab es vorher bestimmte Rapporteure in den Workshops, die gaben sich aber nicht zu erkennen. Moderationen der Großveranstaltungen waren mitunter lust- und kunstlos, zumindest aber nicht besonders bemüht, Gedankenfortschritte herauszuarbeiten. Die Plena waren mit vielen bekannten Gesichtern aus dem inneren Zirkel der ökumenischen Familie besetzt und brachten zu wenig frischen Wind, den Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft hereingebracht hätten. Vor allem die großen Plenarveranstaltungen blieben deshalb leblos. Muss das beim ÖRK so sein?
Am letzten Tag brachen die Dämme: Die Botschaft “Ehre sei Gott und Friede auf Erden” wurde eingebracht – in der rührenden Hoffnung, sie nach 15 Minuten Gesprächen in Kleingruppen und 20 Minuten Voten im Plenum abschließen zu können. Die eine kurze Chance zur Beteiligung ergriffen an die 100 Teilnehmer: Unabsehbar lange Schlangen bildeten sich vor den beiden Mikrophonen, um Voten zur Botschaft abzugeben, ein sichtlich genervter Moderator wurde der Situation nicht gerecht und musste sich anhören, dass nun endlich die Zeit gekommen sei, dass das Plenum einmal zuhöre.
Wie kann ein ÖRK, der die Fahnen der Partizipation und Demokratie so hoch hält, seine eigenen Veranstaltungen nur so hermetisch anlegen?
Jürgen Reichel
Dienstag, 24. Mai 2011
Das Dilemma mit der Sicherheit
Die IöFK lernt Beteiligung
Montag, 23. Mai 2011
Es ist Zeit, aus der Komfortecke herauszukommen
Sonntag, 22. Mai 2011
Eine weltweite geistige Kraft
Was heißt es, dass der Wolf neben dem Lamm wohnen wird (Jesaja 11) und dass Jesus im Gleichnis den zuletzt hinzugekommenen Arbeitern denselben Lohn vom Weinbergsbesitzer zuteilen lässt wie denen, die schon den ganzen Tag gearbeitet haben (Matthäus 20)?
Über die Kirchen wirken biblische Vorstellungen von Gerechtigkeit und Frieden in die Gesellschaften ein und in den kleinen Gesprächszirkeln zeigt sich, dass sie nicht so unterschiedlich sind, wie unterschiedliche konfessionelle oder kulturelle Prägungen vermuten lassen würden. Die Videobotschaft des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel zum Konferenzgottesdienst am Friedenssonntag, die zu Gerechtigkeit und Frieden aufruft, kann von baptistischen Kolumbianern genauso angenommen werden wie von lutherischen Indonesierinnen. Zu den großen Programmen und ethischen Entwürfen scheinen die im ÖRK verbundenen Kirchen im Moment nicht in der Lage zu sein, aber sie erzielen Einigkeit darüber, dass Christen sich für Frieden und Gerechtigkeit an ihrem Ort einsetzen und hören voneinander, wie das in Brasilien, im Kongo oder in Neuseeland geschieht.
Jürgen Reichel
Wirtschaftsethik bleibt ein schwieriges Thema für den Ökumenischen Rat der Kirchen
Redner reihen – im einzelnen durchaus zutreffende - Beispiele aneinander, wie transnationale Unternehmen das Recht auf Wasser für Dorfbewohner beschneiden (Coca Cola in Indien) oder Umweltverwüstungen anrichten, Rohstoffe mit riesigen Gewinnen exportieren und nur geringfügig Einkünfte für das Land selber herausspringen (Goldabbau in Tansania). Die Gedankenführung springt dann aber vom Episodenhaften zum ganz Grundsätzlichen: Der „dominante Markt“ wird zum „wilden Tier, der pauschal „Menschen ausbeutet“. Behauptungen vom Podium, dass man mit Marktkonzepten grundsätzlich nichts anfangen möchte, weil sie auf Gier fußten, bleiben unwidersprochen oder werden gar beklatscht.
Überhaupt ist wenig Raum für Diskurse. Die Podien sind zumeist mit kirchlichen Insidern besetzt. Einsichten von außerhalb der ökumenischen Szene, der Wirtschaft, der Politik oder der Wissenschaft, kommen nicht zu Gehör. Aussprachen über die Referate finden fast gar nicht statt, damit leider auch keine erkennbare Meinungsbildung unter den 1000 Teilnehmenden.
Nur am Rande kommt es zu belebend kuriosen Szenen, wenn etwa bei einer der wenigen Zwischenfragen der Teilnehmer aus Lateinamerika das Plenum dazu auffordert, sich dafür einzusetzen, dass die Bananen aus Mittel- und Südamerika wieder Zollpräferenzen der EU erhalten. Nicht alle Teilnehmer scheinen dem Marktgeschehen ablehnend gegenüber zu stehen.
Jürgen Reichel
Samstag, 21. Mai 2011
"Gerechter Friede" leuchtet Vertretern anderer Religionen nicht ein
Für Muslime sei eine Haltung der Gewaltlosigkeit schwer vorstellbar, so Dr. Farid. Er selbst sehne sich manchmal nach der Botschaft de Verletzlichkeit, die im Sterben Jesu Christi angelegt sei. Der Profet Mohamed hingegen habe Kriege angeführt. Der Koran sei nicht das missverstandene Buch, zu dem liberale Geister es machen wollten, der Dschihad eine grundsätzlich immer kriegerisch zu denkende Aufgabe. Angesichts der Gewalt, die Wehrlosen angetan wer, sei die Vorstellung des "gerechten Friedens" unangebracht. Notwendig sei vielmehr eine Haltung des Widerstands – insbesondere für die Muslime, denn: "Derzeit sind alle Muslime Opfer der USA".
Schwer tut sich auch Rabbi Zidliki aus Peru mit dem "Gerechten Frieden": So sehr der Talmud die Verwobenheit von Frieden, Gerechtigkeit und Wahrheit betone, seien die geschichtlichen Umstände oft genug nicht so, dass man einen "gerechten Frieden" anstreben könne. "Die Juden hätten keinen gerechten Frieden mit Hitler schließen können." Juden hätten nach 1945 die Schlussfolgerung gezogen, dass man sich nicht mehr wie Vieh in die Konzentrationslager treiben lassen würde.
Jürgen Reichel
„Frieden mit der Erde“ nur durch Rückgriff auf Naturreligiosität möglich?
Es scheint, als ob die monotheistischen Religionen sich nicht wohl in ihrer Haut fühlen. Als ob sie fürchten, dass die Verdrängung naturreligiöser Glaubensvorstellungen den Anschub zu den ökologischen Problemen der Neuzeit gegeben habe. Da die Grundannahme nicht reflektiert wird, kommt es zu gewagten Behauptungen: "Indigene Völker leben in exemplarischer Weise Nachhaltigkeit", behauptet der Grundtext der Versammlung, der "Ökumenische Aufruf für einen gerechten Frieden" zum Beispiel – als ob indigene Völker, die Maya in Mittelamerika oder die vorkolumbianischen Jäger Nordamerikas nicht gewaltige ökologische Katastrophen ausgelöst hätten.
Das Bild von "Mutter Erde" muss sparsam verwendet oder noch auf seine Brauchbarkeit untersucht werden, fordern Diskussionsteilnehmer. Nicht alle scheinen sich darauf einlassen zu wollen, christliche Glaubensvorstellungen um Naturmystik zu erweitern.
Jürgen Reichel
Überleben im Stadtpark und bei der Konferenz
Die anschließende Plenumsveranstaltung im großen Zelt auf dem Mona-Campus der University of the Westindies (UWI) begann mit einem eindrucksvollen Vortrag von Pastor Tafue M. Lusama von der Congregational Church von Tuvalu. Er schilderte die Auswirkungen der Klimaerwärmung und die Konsequenzen für die acht Inseln Tuvalus. Durch der Erwärmung des Meeres sterben die Korallen vor der Küste, die Korallenbänke zerfallen und damit die Wellenbrecher, die die Inseln über Jahrtausende vor Stürmen geschützt haben. Zugleich werden die Stürme und Winde heftiger. Die gut 26 Quadratkilometer Landfläche Tuvalus für seine 12.000 Einwohner wird jedes Jahr kleiner. Salzwasser ist in die wasserführenden Schichten der Inseln eingedrungen, so das den Menschen Tuvalus nur noch der Regen als Süßwasserquelle zur Verfügung steht. Die Kirchen in Tuvalu unterstützen die Menschen nicht nur aktiv bei ihrem verzweifelten Versuch, den absehbaren Verlust der Heimat so lange wie möglich hinauszuzögern – wenn es nicht gelingen sollte, ihn zu verhindern. Sie begleiten die Menschen bereits heute dabei, sich psychisch auf diesen Verlust einzustellen.
Erschütternd inhaltsleer blieben nach diesem eindrucksvollen Auftakt aber die Ausführungen des Vertreters des Ökumenischen Rates der Kirchen in der UN Klimakommission. Elias C. Abramides trug eine lange Liste von Konferenzen, Treffen und Workshops vor. Wer aber gehofft hatte, inhaltliche Aussagen über den Stand der Klimaverhandlungen, gar etwas über Differenzen zwischen Positionen der Staaten und der Kirchen zu erfahren, wurde enttäuscht. "Wir brauchen eine Welt des Friedens und der Liebe, um den Klimawandel zu bewältigen und Frieden mit der Erde zu finden", fasste er die Quintessenz seines Vortrags zusammen. Ah ja...
Völlig anders wieder der Nachmittag. In vielen Seminaren und Workshops wurden Initiativen von Kirchen aus allen Kontinenten vorgestellt. Eine beeindruckende Vielfalt von kreativen Ideen und Strategien. Deutlich wurde, dass jede und jeder ein seinem und ihrem Ort entsprechenden Zugang und Ansatzpunkt finden muss. Einige Kirchen sind unmittelbar mit den lebensbedrohenden Folgen der Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert. Erratische Regenfälle, Dürren oder Fluten aber auch unverantwortlicher Umgang der Staaten mit toxischen Abfällen, die Zerstörung der Umwelt durch Unternehmen, die in unverantwortlicher Weise gegenüber Umwelt und Gesellschaft Rohstoffen ausbeuten, gefährden das Überleben der Menschen unmittelbar. Andere Kirchen entwickeln und erproben Modelle alternativen Wirtschaftens oder sie engagieren sich politisch, um auf politische Entscheidungsträger einzuwirken...
Hier zeigt sich eine Stärke der Konvokation: viele der Engagierten kamen hier erstmals zusammen. Sie konnten sehen, wo und wie andere sich engagieren und sie konnten nach gemeinsamen Strategien suchen. "Eigentlich bräuchten wir eine Datenbank, in der sich alle mit ihren Ansätzen, Erfolgen und Misserfolgen eintragen können und die alle Interessierten weltweit nutzen können, um uns zu vernetzen und unsere Bemühungen relevanter zu machen", meinte eine Delegierte aus Mexiko.
Absoluter Höhepunkt der Tages war ein vom Jamaikanischen Kirchenrat organisiertes Konzert im Emancipation Park in der Innenstadt. Jamaikanische Musiker, "Superstars" der Musikszene ebenso wie Kirchenchöre und der Chor der Verkehrspolizei boten den Delegierten und Parkbesuchern ein überwältigendes Programm. Musik unterschiedlicher Stilrichtungen, von Reggae bis Klassik. Welch Rhythmus, Lebensfreude und tief empfundene, natürliche und unverkrampfte Religiosität! Gospelsong und ein leicht ironisierender Reggae-Song darüber, dass es für jedes Lebensproblem einen Psalm gibt, nacheinander.
Im kommenden Jahr feiert Jamaika sein 50 jähriges Bestehen. Der Musiker, der das Lied für das 25 jährige Bestehen geschrieben hatte, ist beauftragt, auch für das 50jährige ein Lied zu schreiben. Für die Delegierten trug er sein Lied für das 25 jährige vor. Das Stadtpublikum im Park sang inbrünstig mit. Das Lied hängt mir nach. Der Refrain lautete: „We have survived!“ - Wir haben überlebt!
Wolfgang Heinrich
Freitag, 20. Mai 2011
Pain in Paradise
Jürgen Reichel
Donnerstag, 19. Mai 2011
"Jamaika - no problem"
Die Mitarbeitenden der Universität sind seit vier Uhr früh auf den Beinen. "Um sechs Uhr wollen wir das Frühstück für die Gäste fertig haben", erzählt der Koch in Aston Preston Hall, einem der Quartiere, wo die Delegierten untergebracht sind. Aber auch das ist nicht früh genug. Die Wärme treibt viele Delegierte bereits in aller Frühe aus ihren Zimmern. Und das Arbeitsprogramm beginnt um acht Uhr. Aber, wie Paul Gardner, der Generalsekretär des Jamaikanischen Kirchenrates in seiner Eröffnung am Vortag gesagt hatte: hier gilt das Motto Jamaikas: "Jamaika – no problem". Gelassen steht man in den Tag – und übt sich in einer Tugend, die man im Laufe des Tages immer wieder brauchen wird.
Wolfgang Heinrich
Mittwoch, 18. Mai 2011
600 Jahre – und wir zählen immer noch
Eindrücklich schilderte Granade die Verwerfungen, die die Gewalt der Sklaverei und des Kolonialismus in den Gesellschaften verursacht haben: "Wir sprechen nicht von einer Dekade zur Überwindung der Gewalt, wir sprechen hier von 600 Jahren – und wir zählen immer noch," appellierte er an die Delegierten. "Wenn wir es ernst meinen, dass unsere Kinder und Kindeskinder eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden erleben, dann müssen wir heute den Krieg, Gewalt in den Gemeinschaften, Gewalt gegen die Erde, Gewalt zwischen den Völkern und die Gewalt ungerechter Wirtschaftsbeziehungen überwinden, denn es wird Jahrhunderte dauern, bis wir auch deren Folgen hinter uns lassen können."
Wolfgang Heinrich
Dienstag, 17. Mai 2011
"Ehre sei Gott und Friede auf Erden"
Die IöFK ist als "Erntedankfest" geplant, um die Erfolge des Jahrzehnts zur Überwindung von Gewalt seit 2001 zu feiern. Gleichzeitig soll das Treffen alle Menschen innerhalb und außerhalb der Kirchen ermutigen, ihr Engagement für Gewaltlosigkeit, Frieden und Gerechtigkeit zu erneuern.
Der EED wird in diesem Blog täglich über die Friedenskonvokation berichten und Delegierte aus Afrika, Asien, Lateinamerika oder dem Nahen Osten mit ihren Überlegungen zu einem weltweiten "gerechten Frieden" zu Wort kommen lassen.
Zur deutschen Delegation, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammengestellt wurde, gehören auch Jürgen Reichel und Wolfgang Heinrich vom EED.